05 Jun

Angewandtes gutes Loslassen?

 

Ein Projekt gibt sich hin

 

Wir befinden uns an einem besonderen Punkt unserer Projektgeschichte.
Nach einem Jahr des Ankommens, der Betriebsgründungen, des Annäherns an die Gemeinschaft Sonnenwald, des Raumhaltens für die neu entstehende Gesamtgemeinschaft, der Abschiede und des Dazustoßens, mussten wir uns eingestehen: Die Akademie, wie sie gerade ist, ist nicht mehr die Gruppe, wie sie gemeinsam aufgebrochen war.

Deutlich wurde dies unter anderem an einer latenten Spaltung zwischen den „alten Hasen“ und den neu Dazugekommenen, an einer abnehmenden Verbindlichkeit für gemeinsame Gruppentreffen, an Stellverteter-Konflikten zwischen Jenen, die an der Materie arbeiten und Jenen, die Kultur gestalten, an metaphorischen Löchern im Gruppengefäß, aus denen das Verbindende hinaus sickerte und daran, dass jenen, die versuchten, den alten „Akademie-Geist“ hochzuhalten, eine stärkere Deutungshoheit in der Gruppe gegeben wurde, was Andere zurückhaltender werden ließ, und an weiteren Phänomenen. Eine differenzierte Analyse der Dynamiken und Umstände, die uns an diesen Punkt gebracht haben, steht noch aus. Deutlich wurde jedenfalls: So wollen wir nicht weitermachen.
So reifte in uns die Idee, das kommende Intensivwochenende der Akademie dem Sterbenlassen des alten Gruppenkörpers zu widmen. Dabei wollten wir nicht einfach nur das Unangenehme von uns schütteln, um mit dem scheinbar Schönen und Guten weiterzugehen.
Wir wollten alles gehen lassen – Rollen, Strukturen, Visionen, Wünsche und Erwartungen – um danach klarer zu sehen, was mit genau diesen Menschen, die wir jetzt sind, an dem Ort, an dem wir jetzt sind, entstehen möchte. Wollten uns dem stellen was, gerade Wirklichkeit ist, anstatt schönen Vorstellungen nachzuhängen.

Passenderweise sollte es das Osterwochenende sein, an dem wir uns trafen. So wollten wir uns dem Geist dieser Tage anschließen, vom Sterbenlassen in die Leere und uns schlussendlich dem Potential einer Neuwerdung zuwenden.

Gründonnerstag widmeten wir uns unserer Geschichte von den Anfängen 2015 bis zum Jahr 2020 und durchlebten dort nochmals die wichtigsten Stationen unserer Projektgeschichte.
Am Karfreitag definierten wir unsere persönlichen Funktionen und Rollen innerhalb der Gruppe, sowohl die kraftspendenden als auch die hemmenden. Außerdem formulierten wir unsere Hoffnungen, Ängste und Projektionen, die wir auf die Akademie hatten. Am Abend gaben wir diese feierlich und rituell ins Feuer, ließen das Projekt „Akademie für angewandtes gutes Leben“ und unsere Identifikationen damit sterben und begannen zu schweigen.
Ein spannender Moment. Und die erwartete Traurigkeit – hing doch ein großes Stück der Identität eines Jeden an diesem Projekt – blieb großteils aus. Stattdessen empfanden wir eher Erleichterung, eine Last und Verantwortung fiel von uns. Zudem schien es einigen, als würden sie die einzelnen Menschen nun viel klarer wahrnehmen, als hätte das Projekt einen unmerklichen Schleier zwischen unseren direkten Kontakt von Mensch zu Mensch gelegt, der nun mehr gelüftet würde. 

Nach einem Tag in Stille, den wir großteils individuell für uns verbrachten, versammelten wir uns – noch schweigend – am Sonntagmorgen, um gemeinsam eine Herzmeditation zu machen. An diesem Tag der Auferstehung wollten wir uns empfänglich machen für das Neue, das entstehen mag. So saßen wir fast drei Stunden, in denen einige ein intensives Erleben hatten, andere eher enttäuscht waren, da sie sich besondereres erwartet hatten. 

Ein erfahrener Mensch warnte uns, nach solch einem Prozess des Loslassens direkt wieder in die Handlung, die Neustrukturierung zu gehen. Es gelte, die Ungewissheit auszuhalten, zu vertrauen, dass sich neue Beziehungen und eine stimmige Form entwickle – nur so entstünde der Raum, in dem wirklich Neues entstehen könne, anstatt schnell das Alte mit neuem Anstrich wieder zu erschaffen. 

Und da stehen wir nun. Noch ohne dass das Neue klar ersichtlich wäre.
Es haben sich Dinge geändert. Menschen, die in der bisherigen Gruppenkonstellation eher zurückhaltend gewesen waren, treten mehr in die Mitte der Gruppe und gestalten aktiver mit. Früher stark Gestaltende sind zurückhaltender, teils unsicherer geworden. Wir haben unsere gemeinsame Ausrichtung aufgegeben und (noch?) nicht wiedergefunden. Einige fühlen sich verunsichert, handlungsunfähiger, andere mehr Teil der Gruppe und freier. Für manche kam die erwartete Traurigkeit erst nach dem Osterwochenende und läutete eine Zeit der Orientierungslosigkeit und sozialen Unsicherheit ein. Einigen wird seitdem immer klarer, was ein verbindlicher Rahmen der Begegnung, gemeinsamen Verantwortung und des Feedbacks für einen großen Unterschied macht für die erlebte Zugehörigkeit zu einem Gruppenkörper. Andere freuen sich auf eine Zeit der schlichten Freundschaft ohne Fokus auf gemeinsames Arbeiten.
Die Projekte laufen jedoch weiter – die nächste Wandelreise ist bereits in Planung, die offene Werkstatt wächst, der Newsletter wird geschrieben und auch unsere Vereinsbuchhaltung hat noch zu tun. Und zugleich gibt es gerade keine einende Akademie, in der die Fäden zusammenlaufen würden.

War der Prozess eine Dummheit, die uns schadet – oder ein aufrichtiger und mutiger Schritt in eine stimmigere Projektzukunft?
Wir wissen es nicht. Als wir kürzlich zu Pfingsten – an der Feuerstelle, an der wir 50 Tage zuvor den Sterbeprozess gemacht hatten – eine Runde zu der Frage machten, ob wir das Ganze wieder tun würden, waren die Meinungen geteilt.
Von „Wir haben da etwas ganz Wertvolles gehen lassen, haben uns handlungsunfähig gemacht und uns unsere gemeinsame Ausrichtung genommen, es ist seitdem richtig schwer für mich, hier zu sein.“ bis „Ich habe mit dieser Gruppe schon so viel erleben dürfen – ist es nicht die größte Möglichkeit, durch diesen Prozess etwas ganz Neues, Bereicherndes erleben zu können, was sonst nie entstanden wäre?“ 

Und ja, formal gibt es die Akademie für angewandtes gutes Leben im Moment nicht mehr. Und dennoch sind wir da. Es hat bisher niemand von uns die Gesamtgemeinschaft verlassen, wir treffen uns nach wie vor fast jeden Mittwochabend, um zu schauen wo wir stehen, um uns mitzubekommen. Es scheint da etwas zu geben, was zieht. Was uns zusammenhält. Etwas, das will, dass wir bleiben, bis das Neue entsteht? 

Wir werden sehen… 

 

Autoren: Julian und Max